Vorlage der Arbeitszeiterfassung im Überstundenprozess
LAG Niedersachsen, Urt. v. 9.12.2024 (Az. 4 SLa 52/24) – nicht rechtskräftig
Es ist kein Grund ersichtlich, weswegen es einer Arbeitgeberin im Hinblick auf die ohnehin bestehende Arbeitszeiterfassungspflicht unzumutbar sein soll, ihre hieraus gewonnenen Informationen dem Arbeitnehmer auf dessen Vortrag im Überstundenprozess entgegenzuhalten.
Sachverhalt:
Die Parteien streiten über die Vergütung von Überstunden. Die Klägerin war über elf Jahre als Lageristin/kaufmännische Angestellte beschäftigt. Sie trug vor, sie habe nach Ausscheiden einer anderen Arbeitskraft montags bis freitags jeweils mindestens von 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr abzüglich einer täglichen Pause von einer Stunde und teilweise samstags von 9:00 Uhr bis 12:00 Uhr für die Beklagte gearbeitet. Von der Beklagten verlangt sie für die Arbeitszeit Vergütung, die über die arbeitsvertraglich vereinbarte Arbeitszeit von 24 Stunden wöchentlich hinaus geht. Die Beklagte bestreitet den von der Klägerin behaupteten Umfang der Überstunden. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab.
Entscheidung:
Das LAG hat der Berufung im Wesentlichen stattgegeben und die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen. Der Klägerin steht – so das Landesarbeitsgericht Niedersachsen – ein Anspruch auf zusätzliche Vergütung von Überstunden im Umfang von 20 Stunden wöchentlich über knapp drei Jahre zu. Die Klägerin sei mit ihrem Vortrag ihrer Darlegungs- und Beweislast nachgekommen. So habe sie ausreichend dargelegt, dass sie die Arbeit in einem Umfang erbrachte, der die vereinbarte Normalarbeitszeit überstieg. Weiter habe sie dargelegt, dass die Beklagte die Leistung der Überstunden veranlasst habe bzw. dieser zuzurechnen sei. Allgemein genüge der Arbeitnehmer seiner Vortragslast zur Ableistung von Überstunden, wenn er vorträgt, an welchen Tagen und von wann bis wann er Arbeit leistete oder sich auf Weisung des Arbeitgebers zur Arbeit bereithielt. Erbringt der Arbeitnehmer diesen Vortrag, obliege es dem Arbeitgeber substanziiert zu erwidern. Dem sei die Beklagte nicht nachgekommen, weswegen der Vortrag der Klägerin als zugestanden gelte. Hierbei muss sich die Beklagte als Arbeitgeberin auch entgegenhalten lassen, dass sie die Arbeitszeiten ihrer Arbeitnehmer nicht erfasst hat, obwohl sie gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG hierzu verpflichtet sei. Zwar sei, so das LAG weiter, zwischen der vergütungsrechtlichen und der arbeitsschutzrechtlichen Arbeitszeit zu differenzieren und lediglich die arbeitsschutzrechtliche Arbeitszeit zu erfassen. Allerdings wäre die Beklagte mithilfe einer Arbeitszeiterfassung in der Lage gewesen, dem Vorbringen der Klägerin konkret entgegenzutreten. Dass sie ihrer Pflicht zur Arbeitszeiterfassung aus § 3 Abs. 2 Nr. ArbSchG nicht entsprochen habe, kann als ihr eigenes Versäumnis nicht der Klägerin zum Nachteil gereichen.
Hinweis:
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung noch nicht rechtskräftig ist, sondern die Revision bei dem Bundesarbeitsgericht unter dem Az. 5 AZR 40/25 anhängig ist. Bisher hat der 5. Senat des BAG stets entschieden, dass die arbeitszeitschutzrechtliche Pflicht des Arbeitgebers zur Arbeitszeiterfassung nicht dazu führt, dass dem Arbeitnehmer ein Auskunftsrecht diesbezüglich zusteht, um mithilfe der Arbeitszeiterfassung eine Überstundenvergütung einzuklagen.
Solange das BAG das Urteil des LAG Niedersachsen noch nicht aufgehoben hat, sollte es beachtet werden.
Dessenungeachtet macht es Sinn, auch auf Arbeitnehmerseite die Arbeitszeit selbständig aufzuzeichnen, sofern der Arbeitgeber die Überstunden nicht korrekt abrechnet. Zugleich sollten diese Zeiten dem Arbeitgeber zur Kenntnis gegeben werden und es sind u.U. Ausschlussfristen zu beachten. Dies gilt jedenfalls solange die Frage zum Auskunftsanspruch noch nicht abschließend höchstrichterlich geklärt ist und auch noch nicht gesetzlich geregelt.